Die Szenen erinnern an den Sturm auf das US-Kapitol 2021: Anhänger von Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro dringen gewaltsam in Kongress, Obersten Gerichtshof und Regierungssitz ein. Nach Stunden bringen Sicherheitskräfte die Gebäude laut Medien wieder unter Kontrolle.
Brasília (dpa) - Eine Woche nach dem Ende der Amtszeit des früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro haben radikale Anhänger des rechten Ex-Militärs das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasília gestürmt. Sie drangen am Sonntag in den Kongress, den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz Palácio do Planalto ein, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. Die Polizei setzte Pfefferspray, Tränengas- und Blendgranaten ein.
Nach mehreren Stunden brachten Sicherheitskräfte die Gebäude laut Medienberichten wieder unter Kontrolle. Spezialkräften der Militärpolizei und der Präsidentengarde gelang es, die Gebäude zu räumen, wie die staatliche Agência Brasil berichtete. Die Demonstranten sammelten sich daraufhin auf Parkplätzen und dem Rasen vor dem Nationalkongress. Dutzende Verdächtige wurden festgenommen.
200 Festnahmen
Die Polizei hat bereits etwa 200 Verdächtige festgenommen. Die Sicherheitskräfte suchten weiter nach Beteiligten der Angriffe und würden die Festnahmen fortsetzen, sagte Justizminister Flavio Dino am Sonntagabend (Ortszeit) auf einer Pressekonferenz.
Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der sich zum Zeitpunkt des Angriffs nicht in der Hauptstadt aufhielt, verurteilte die Ausschreitungen scharf und ordnete an, dass die Bundesregierung die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit in Brasília übernimmt. Der Sicherheitschef der Stadt, Anderson Torres, ehemals Justizminister unter Bolsonaro, wurde entlassen. Bolsonaros Partei distanzierte sich von den Geschehnissen.
Die Demonstranten schlugen die Scheiben der Fassade des Kongressgebäudes ein und drangen in die Eingangshalle vor. Auf Videos war zu sehen, wie Menschen im Plenarsaal des Senats auf Tische und Bänke kletterten. Zuvor waren bereits Hunderte Demonstranten auf das Gelände des Parlaments vorgedrungen und auf das Dach des Gebäudes gelangt.
Nach dem Angriff auf den Kongress zogen Bolsonaro-Anhänger auch zum Obersten Gerichtshof. Sie hätten dort Scheiben eingeworfen und seien in die Lobby vorgedrungen, berichtete das Nachrichtenportal G1. Die Richter hatten während der Amtszeit von Bolsonaro den rechten Staatschef immer wieder in die Schranken gewiesen und werden von seinen Unterstützern deshalb verachtet. Später zog die Menge auch zum Regierungssitz Palácio do Planalto. Männer mit Brasilienflaggen liefen durch Flure und Büros, wie im Fernsehsender TV Globo zu sehen war.
Die Militärpolizei setzte gepanzerte Fahrzeuge ein, über dem Regierungsviertel kreisten Hubschrauber. Im Fernsehen war zu sehen, wie Bolsonaro-Anhänger einen berittenen Polizisten von seinem Pferd zogen und auf ihn einschlugen.
Lula kündigte harte Strafen an. «Alle Vandalen werden gefunden und bestraft», sagte der Staatschef. «Wir werden auch herausfinden, wer sie finanziert hat.» Er befand sich zu dem Zeitpunkt in der Stadt Araraquara im Bundesstaat São Paulo, um sich über die Folgen der schweren Unwetter in der Region zu informieren.
Sicherheitschef entlassen
Sicherheitschef Torres wurde umgehend abgelöst. «Ich habe die Entlassung des Sicherheitsministers des Bundesdistrikts beschlossen und gleichzeitig alle Sicherheitskräfte auf die Straße geschickt, um die Verantwortlichen festzunehmen und zu bestrafen», schrieb der Gouverneur des Bundesbezirks, Ibaneis Rocha, auf Twitter. «Ich bin in Brasília, um die Demonstrationen zu beobachten und alle Maßnahmen zu ergreifen, um die antidemokratischen Ausschreitungen im Regierungsviertel einzudämmen.»
Bis zum Abend sei gegen 30 Menschen Untersuchungshaft angeordnet worden, berichtete das Nachrichtenportal G1 unter Berufung auf den Obersten Gerichtshof. Im Fernsehen war zu sehen, wie Polizisten mehrere Männer und Frauen mit auf den Rücken gefesselten Händen aus dem Kongress führten.
«Ich verurteile diese antidemokratischen Handlungen, die dringend mit der Härte des Gesetzes geahndet werden müssen», schrieb Senatspräsident Rodrigo Pacheco auf Twitter. «Ich habe mit dem Gouverneur des Bundesdistrikts, Ibaneis Rocha, telefoniert, mit dem ich in ständigem Kontakt stehe. Der Gouverneur teilte mir mit, dass der gesamte Polizeiapparat sich darauf konzentriert, die Situation unter Kontrolle zu bringen.»
Die Szenen erinnerten an die Ausschreitungen am Sitz des US-Kongresses in Washington am 6. Januar 2021. Damals hatten Anhänger von Donald Trump das Kapitol gestürmt, in dem die Wahlniederlage des Republikaners gegen Joe Biden beglaubigt werden sollte. Die Menge drang gewaltsam in das Gebäude ein, fünf Menschen starben.
US-Präsident Joe Biden nannte die Vorfälle am Sonntag bei einem Besuch im Bundesstaat Texas nach Angaben seiner Sprecherin «ungeheuerlich». «Unsere Unterstützung für die demokratischen Institutionen Brasiliens ist unerschütterlich», erklärte sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan.
Die Chefin der regierenden Arbeiterpartei erhob schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen in Brasília. «Die Regierung des Bundesbezirks war unverantwortlich angesichts der Invasion in Brasília und im Nationalkongress», schrieb Gleisi Hoffmann auf Twitter. «Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert.»
Bolsonaro-Partei verurteilt Angriffe
Auch Bolsonaros Partei verurteilte die Angriffe. «Heute ist ein trauriger Tag für die brasilianische Nation. Wir können mit der Erstürmung des Nationalkongresses nicht einverstanden sein», sagte der Vorsitzende von Bolsonaros Liberalen Partei (PL), Valdemar Costa Neto, in einem Video. «Alle geordneten Demonstrationen sind legitim. Aber das Chaos hat nie zu den Grundsätzen unserer Nation gehört. Wir verurteilen dieses Verhalten aufs Schärfste. Das Recht muss durchgesetzt werden, um unsere Demokratie zu stärken.»
Der rechte Präsident Bolsonaro war im vergangenen Oktober dem Linkspolitiker Lula in der Stichwahl unterlegen und zum Jahreswechsel aus dem Amt geschieden. Bereits vor der Wahl hatte er immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut. Beweise dafür legte er allerdings nie vor. Auch nach der Abstimmung erkannte er seine Niederlage nie ausdrücklich an. Seine Anhänger blockierten immer wieder Landstraßen, kampierten vor Kasernen und forderten eine Militärintervention zugunsten des abgewählten Staatschefs.
Quelle: dpa