Der Solidaritätszuschlag war nie als ewige Steuer gedacht. Doch fast dreißig Jahre nach der Einführung ist kein Ende der Abgabe in Sicht. Ein Versuch, den Soli vor Gericht auszuhebeln, ist vorerst gescheitert.
Die Bundesregierung kann nach einer gescheiterten Klage gegen den Solidaritätszuschlag weiter jährliche Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe aus der Abgabe einplanen. Der Bundesfinanzhof (BFH) in München wies am Montag eine Klage gegen den Solidaritätszuschlag ab. Dieser sei nicht verfassungswidrig, entschied der IX. Senat des höchsten deutschen Finanzgerichts. Ein Ehepaar aus Aschaffenburg hatte die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gefordert, unterstützt vom Bund der Steuerzahler. Nun haben die Kläger vier Wochen Zeit für eine mögliche Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe.
53 Milliarden Euro in den Jahren 2020 und 2021
«Im vorliegenden Fall ist das Gericht nicht von der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags für die Jahre 2020 und 2021 überzeugt», sagte BFH-Präsident Hans-Josef Thesling - gegen die Steuerbescheide dieser beiden Jahre richtete sich die Klage. Laut Urteil hat der Bund dargelegt, dass die Wiedervereinigung weiter erhöhten Finanzbedarf verursacht, auch wenn die früheren Solidarpakte zur Finanzierung der Einheitslasten ausgelaufen sind.
Die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag sind nach wie vor hoch, ganz überwiegend bezahlt von Unternehmen und Besserverdienern. «Wenn wir uns die Jahre 2021/22/23 anschauen, dann haben wir 53 Milliarden Euro», sagte Reiner Holznagel, der Präsident des Steuerzahlerbunds. «Das ist eine Hausnummer.»
»Wäre gut, wenn Politik jetzt weiteren Ausstieg plant«
Holznagel appellierte an die Bundesregierung, den Zuschlag abzuschaffen, weil die seit jeher von Kontroversen begleitete Abgabe bei ihrer Einführung in den 1990er Jahren nur befristet gedacht war. «Nach einer Generation - also circa 30 Jahren - sollte der Soli sozusagen weg sein», sagte Holznagel. «Deshalb wäre es gut, wenn die Politik jetzt den weiteren Ausstieg plant.»
Die frühere Große Koalition hatte 2019 im «Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995» beschlossen, dass neunzig Prozent der Einkommensteuerzahlerinnen und -zahler ausgenommen bleiben sollen, den Zuschlag zahlen müssen die oberen zehn Prozent. In der Tat ist aber auch in der Gesetzesbegründung ausdrücklich von einem «ersten Schritt» und «späterem vollständigen Abbau» die Rede.
Die Klage berief sich darauf, dass der Zweck des Soli jetzt schon entfallen sei: Die Abgabe diente zur Finanzierung des Ende 2019 ausgelaufenen Solidarpakts II, mit dem der Aufbau der Infrastruktur in Ostdeutschland finanziert werden sollte.
Dem folgte der Bundesfinanzhof nicht: Der Bund darf den Solidaritätszuschlag wegen erhöhten Finanzbedarfs für die Einheit demnach auch ohne Solidarpakt erheben. «Eine Ergänzungsabgabe muss nicht von vornherein befristet oder für einen kurzen Zeitraum erhoben werden», sagte BFH-Präsident Thesling.
Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz?
Darüber hinaus werfen Steuerzahlerbund und Kläger dem Bund einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vor, weil nur noch eine kleine Minderheit der Einkommensteuerzahler die Abgabe zahlen muss, die große Mehrheit jedoch nicht.
Steuerzahler-Präsident Holznagel und Rechtsprofessor Roman Seer nennen den Soli deswegen eine «Reichensteuer». Der Leiter des Instituts für Steuerrecht an der Universität Bochum hatte die Klage vor dem BFH vertreten.
Auch dieses Argument wies der Senat zurück. Steuern, die an der «Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen» ausgerichtet sind, darf der Bund laut Urteil unter sozialen Gesichtspunkten auf Menschen mit höherem Einkommen beschränken.
Seer nannte die Entscheidung «enttäuschend». «Vor Gericht und auf hoher See sind Sie in Gottes Hand», zitierte er nach dem Urteil eine alte Juristenweisheit. Ob die klagenden Eheleute Verfassungsbeschwerde einlegen wollen, ist nach seinen Worten noch nicht besprochen. Davon unabhängig hatten FDP-Bundestagsabgeordnete schon 2020 Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Unterschiedliche Meinungen in Ampel-Koalition
Die Ampel-Koalition ist uneins. Die FDP befürwortet die Abschaffung des Soli, die Grünen sind dagegen. «Es wäre absurd gewesen, die reichsten zehn Prozent des Landes zu entlasten, während viele Menschen kaum noch wissen, wie sie am Ende des Monats ihre Rechnungen bezahlen sollen», sagte der stellvertretende Fraktionschef der Grünen, Andreas Audretsch. Parteichefin Ricarda Lang sprach nach der Entscheidung von einem guten Zeichen. Ein Einnahmeausfall bei einem Soli-Wegfall wäre in der angespannten Haushaltslage des Bundes angesichts großer Herausforderungen ein großes Problem.
Das von FDP-Chef Christian Lindner geleitete Bundesfinanzministerium setzt auch nach dem Urteil auf Karlsruhe. «Die Bundesregierung hat ein Interesse an einer verfassungsgerichtlichen Klärung», hieß es in Ministeriumskreisen.
SPD und Linke begrüßten die Entscheidung des Bundesfinanzhofs. Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Schrodi sagte, es gebe weiterhin einen großen staatlichen Finanzbedarf aus der deutschen Wiedervereinigung. Linken-Chef Martin Schirdewan nannte den Soli die «gerechteste Steuer, die wir in Deutschland derzeit haben». Eine Abschaffung wäre «die größte Steuersenkung seit Jahrzehnten».
»Dringend notwendiger Entlastungsschritt«
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian, nannte eine Abschaffung des Soli einen «dringend notwendigen Entlastungsschritt». Die Entscheidung des BFH, hindere die Politik nicht daran, ihn dennoch abzuschaffen. Er verwies darauf, dass die Wirtschaft «rund die Hälfte des verbliebenen Soli-Aufkommens» trage.
CDU und CSU davon aus, dass der Soli keine Ewigsteuer werden darf. Die Verfassungsmäßigkeit bleibe davon abhängig, dass der Bund besonderen Finanzbedarf für die Herstellung der Einheit nachweise, sagte Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg. «Insofern ist absehbar, dass die Berechtigung des Soli auslaufen wird.»
Quelle: dpa