Gerald Grosz

So lernte ich Papst Benedikt kennen

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Polit-Blogger und de24live-Kolumnist erzählt von seinen Begegnungen mit Papst Benedikt XVI (†95). 

„Ja, das soll vorgekommen sein“, quittierte mit einem Schmunzeln der damals mächtige Präfekt der Glaubenskongregation und Dekan des Kardinalskollegiums Joseph Ratzinger meine Antwort auf seine Frage, ob denn ich auch Geistlicher sei. „Nein, Eminenz, ich bin kein Geistlicher. Aber mein Ururgroßvater war Pfarrer“, ließ ich keinen Zweifel daran, dass ich eben der Nachkomme eines besonders aufgeweckten, mehr oder weniger außerzölibatär lebenden Landpfarrers bin. Als ich Joseph Ratzinger erstmals in Wien begegnete war er von der körperlichen Statur her nicht angsteinflößend, aber sein Ruf als „Panzerkardinal“, der ganz in der Tradition der Inquisition die Lehre der Kirche verteidigte, ging ihm voraus. Seine rote Kardinalsrobe war tatsächlich ein beeindruckender Panzer, verbarg sich doch dahinter ein bescheidener Mensch mit wachem Geist und feinem Humor.

Unsere zweite Begegnung war einige Zeit später in Mariazell. Er war bereits Papst, Nachfolger des Apostelfürsten Petrus und ich einer der Messbesucher, die im Schneeregen auf die Ankunft des hohen Gastes aus Rom warteten. Und dann kam er, zog ein am Vorplatz der Basilika. Er segnete mich im Vorbeigehen. Fast schüchtern blickte er unter seiner Mitra heraus. Gar nicht so selbstbewusst, wie man sich einen Stellvertreter Christi auf Erden vorstellen würde. Es schien so, dass ihm das Petrusamt doch noch fremd war. In seiner ersten Audienz nach seiner Papstwahl sprach er auch davon, dass ihm die Verkündung des Wahlergebnisses wie ein Fallbeil vorkam.

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Die dritte Begegnung erlebte ich in Rom, am Petersplatz. Als er unter den Klängen der Docata von Bach in seinem weißen Papamobil die Menge segnete, seine Ansprache hielt und dann eben einige Auserwählte in der prima fila („erste Reihe“) zum Baciamano („Handkuss“) empfing. Da war er bereits routiniert. Und man erkannte, dass ihm diese Verantwortung trotz aller Last ein wenig Freude machte.

Die Begegnung mit Menschen machte ihm Freude, dem vermeintlich Schüchternen. Er war leise, aber seine Worte waren gewaltig. Mangelndes Charisma machte er mit dem mystischen Zauber des alten Amtsverständnisses wett. Kein Messgewand der Päpste der vergangenen 150 Jahre, das nicht wieder das Licht der Kirchenluster erblickte, weil Papst Benedikt XVI. eben damit auch seine Rolle in der Tradition seiner Vorgänger sah. Benedikt selbst war in seiner Lebensführung mehr als bescheiden und sparsam, aber er wusste um die Macht jener optisch sichtbaren Instrumente, die Päpste seit dem Mittelalter nutzen, um das Volk in gehöriger Weise von der Macht Gottes zu beeindrucken. Er war persönlich bescheiden, saß aber auf dem vergoldeten Thron des Pius XII. Er aß vom mit seinem Wappen verzierten Porzellan im Apostolischen Palast, auf den Tellern fanden sich aber nur günstig zubereitete italienische Pastagerichte oder einfache bayrische Hausmannskost. Er war im Inhalt laut und mächtig, aber in seinem Ausdruck leise. Er war im Amt konservativ, wusste aber als aufgeklärter Konzilstheologe um die Umbrüche in der Gesellschaft. Er war pflichtbewusst und in seinem Dienst auch hart zu anderen und sich selbst, aber vergab alle jenen nur allzu oft, die ihm illoyal wurden.

Joseph Ratzinger auf Petri Stuhl war ebenso ein Widerspruch, wie der junge, fast liberal anmutende Konzilstheologe, der dann zum Inbegriff des katholischen Konservatismus wurde. Denn ausgerechnet dieser, als erzkonservative Kirchenfürst gesehene, war dann nach hunderten von Jahren jener, der von sich aus das Papstamt zurücklegte, gleichsam vom Kreuz seiner Berufung stieg. Joseph Ratzinger war der Inbegriff jener Wahrheit, dass die Welt und der Glaube eben nicht Schwarz oder Weiß sind. In vielem, was er sagte und tat, wurde er nicht verstanden, oft missverstanden und als Projektionsfläche der Gegner des Glaubens und der Kirche missbraucht. Von jenen, die unsere geschichtliche wie religiöse Herkunft und damit die Wahrheit unseres Lebens und unsere Identität tilgen wollen. Von kleiner körperlicher Statur hat er sich mutig, ja heldenhaft dem Zeitgeist widersetzt, seine eigene Person in die Waagschale dieses ewigen Kampfes - ohne Rücksicht auf sein eigenes persönliches Ansehen -geworfen. Er wurde stellvertretend beleidigt, er wurde diffamiert. Man attackierte ihn und wollte in Wahrheit das sinnstiftende Fundament unserer Gesellschaft, nämlich den Glauben treffen. War er doch als einer der größten und intellektuell brillantesten Theologen, die unsere Welt je gesehen hat, ein Dorn im Auge der selbsternannten Progressiven.

Ja, ein wahrer Kirchenvater eben, der in einer Reihe mit Augustinus seinen Platz finden wird und in gewisser Weise auch ein Märtyrer ist, der für den Glauben ohne Wenn und Aber einstand. Ein beseelter Mensch, ein Intellektueller, der die Schönheit des Glaubens als wahre Grundlage unserer Schöpfung verstand. Ein kunstsinniger Mensch, dessen ewige Suche dem genialen Geist des Menschen galt. Sein wacher Intellekt, sein leises Wort war das Schwert, mit dem er gegen den Relativismus, gegen den zerstörerischen Zeitgeist und dessen Knechte antrat. Nicht um des Streits wegen, nicht um des Konfliktes wegen, sondern um Gutes zu hüten, um Wertvolles zu bewahren, um die Lehre weiterzugeben. Als Johannes Paul II starb und mit Joseph Ratzinger der neue Pontifex seine ersten Schritte in den Schuhen des Fischers tat, sagte man in Rom: Zu Johannes Paul fuhr man, um ihn zu sehen. Zu Benedikt fährt man, um ihn zu hören. Mit dem Heimgang von Papst Benedikt XVI ist die Welt heute um einiges ärmer geworden.

Und auch in seinem Tod werden wieder viele nicht verstehen, welchen großen Anteil dieser einfache Mensch am Stuhl Petri, dieser wahre Arbeiter im Weingarten des Herrn, für die Kirche und damit für unseren Glauben geopfert hat. Er hat seiner Kirche gedient. Nicht als Landpfarrer wie Johannes XXIII und auch nicht als Mystiker wie Johannes Paul II, sondern als Benedikt, der Lehrer, der Denker, der Verteidiger und Bewahrer. Er war der Fels, auf dem Jesus seine Kirche baute. Heiliger Vater, möge Gott Ihnen Ihre Fehler verzeihen und möge er Ihnen all das Gute vergelten. 

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