Politik

N-Wort-Eklat: Nach Austritt bei Grünen - Palmer meldet sich krank

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Nach seinem Parteiaustritt geht der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer auf Tauchstation. Im Rathaus hat er sich krankgemeldet, Fragen will er keine beantworten. Später meldet er sich auf Facebook.  

Update: Palmer meldet sich krank

Nach seinem Parteiaustritt und der Ankündigung, eine "Auszeit" nehmen zu wollen, hat sich Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer zunächst aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. "Ich mache heute Auszeit und beantworte aus diesem Grund keine Fragen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart am Dienstag. Auf die Frage, ab wann er wieder ansprechbar ist, antwortete Palmer: "Weiß ich nicht."

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Im Rathaus meldete sich Palmer am Dienstag krank. "Herr Palmer ist krank und steht heute nicht für Anfragen zur Verfügung", teilte eine Sprecherin der Stadtverwaltung mit. Wie seine Auszeit konkret aussehen soll, ist auch der Stadtverwaltung nicht bekannt.

"Das ist nichts anderes als der Judenstern"

Palmer hatte am Montag seinen Parteiaustritt erklärt und zuvor bekanntgegeben, eine "Auszeit" nehmen zu wollen. Am Rande einer Migrationskonferenz in Frankfurt am Main hatte er am Freitag Stellung zu Art und Weise seiner Verwendung des "N-Wortes" genommen. Als er mit "Nazis raus"-Rufen konfrontiert wurde, sagte Palmer zu der Menge: "Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi." Mit dem sogenannten N-Wort wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben. Palmer war für seine Äußerungen heftig kritisiert worden. In einer persönlichen Erklärung vom Montag betonte Palmer, er hätte als Oberbürgermeister "niemals so reden dürfen".

Die Tübinger Grünen äußerten Respekt für die Entscheidung Palmers. Mitglieder vor Ort hätten "große Anstrengungen für eine Annäherung unternommen", hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme des Kreis-und Stadtverbands der Partei. Angesichts der jüngsten Äußerungen Palmers sei der Austritt aber ein "konsequenter Schritt". Man wolle weiter daran arbeiten, dass Tübingen bis 2030 klimaneutral werde - wenn möglich auch weiter gemeinsam mit Palmer.

Nouripour: Palmers Schritt sei "respektabel"

Der Vorsitzende der Bundespartei, Omid Nouripour, zollte Palmer Respekt für seinen Parteiaustritt, äußerte aber kein Bedauern darüber. "Es gab ja Gründe, warum wir viele Diskussionen alle miteinander hatten", sagte er am Dienstag im ZDF-"Morgenmagazin". Palmers Schritt sei "respektabel, und ich wünsche ihm ein gutes Leben".

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann bedauerte den Austritt. "Persönlich tut es mir Leid um diesen klugen Kopf, der unsere Partei über eine sehr lange Zeit streitbar bereichert hat", sagte er am Dienstag in Stuttgart. Er finde außerordentlich schmerzlich, was da passiert sei. Der Tübinger Bundestagsabgeordnete Chris Kühn bezeichnete Palmers Parteiaustritt als konsequenten Schritt. Palmer habe sich besonders seit 2015 inhaltlich und programmatisch weit von der Partei entfernt.

Palmer meldet sich auf Facebook zu Wort

Palmer selbst meldete sich auf Facebook zu Wort. Dort postete er ein Bild von neugepflanzten Bäumen auf dem Mittelstreifen einer Straße. "An solchen Entwicklungen freue ich mich", schrieb Palmer. Daran werde er auch weiter arbeiten. "Nächstes Jahr wollen wir mindestens 100 neue Straßenbaumstandorte einrichten", schrieb er. Wann er die Arbeit als Tübinger OB wieder aufnehmen wolle, teilte er nicht mit. Er verabschiede sich "bis auf weiteres" in eine Auszeit. Auf seinem Facebook-Profil veröffentlichte er ein Bild, auf dem das Wort "Auszeit" steht.

 

Ursprüngliche Meldung:

Es kann in der Politik manchmal schnell gehen: Ende Oktober jubelte Boris Palmer noch auf dem Tübinger Marktplatz über seinen dritten Wahlsieg als Oberbürgermeister, dirigierte mit großer Geste die angetretene Blaskapelle - und es schien nur eine Frage der Zeit, bis die Grünen ihren wohl bekanntesten Bürgermeister wieder in die Partei aufnehmen würden. Seit Montagabend ist klar: Die Geschichte von Boris Palmer und den Grünen ist beendet - nach einem Eklat wegen Äußerungen Palmers zum Judenstern und Vorwürfen des Rassismus gegen ihn.

Der 50-Jährige, dessen Mitgliedschaft eigentlich nur noch bis Ende 2023 ruhen sollte, ist aus der Partei ausgetreten. Seine Austrittserklärung sei eingegangen, der Austritt gelte unmittelbar, teilte eine Sprecherin des Landesverbands am Montag in Stuttgart mit. Palmer bestätigte der Deutschen Presse-Agentur den Austritt.

N-Wort-Skandal vor Goethe-Uni

Der Austritt markiert das vorläufige Ende einer heftigen Debatte rund um Palmer. Er hatte am Freitag mit einer verbalen Auseinandersetzung mit einer Gruppe vor einer Migrationskonferenz in Frankfurt am Main für Aufsehen gesorgt. Vor einem Gebäude der Goethe-Universität hatte er zu Art und Weise seiner Verwendung des "N-Wortes" Stellung bezogen.

Als er mit "Nazis raus"-Rufen konfrontiert wurde, sagte Palmer zu der Menge: "Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach." Mit dem sogenannten N-Wort wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.

Sogar sein Anwalt distanzierte sich von ihm 

Nach seinen Äußerungen in Frankfurt war es innerhalb von wenigen Tagen sehr einsam um den Tübinger Oberbürgermeister geworden, auch enge Wegbegleiter distanzierten sich von ihm. Palmers Anwalt, Rezzo Schlauch, der ihn noch im gegen ihn gerichteten Parteiausschlussverfahren vertreten hatte, sagte: "Unmittelbar nach Kenntnis über den von Boris Palmer in Frankfurt zu verantwortenden Eklat habe ich ihm meine persönliche und meine politische Loyalität und Unterstützung sowie meine juristische Vertretung aufgekündigt."

Schlauch, der früher selber für die Grünen politisch aktiv war, erklärte weiter: "Keine noch so harte Provokation, keine noch so niederträchtigen Beschimpfungen und Beleidigungen von linksradikalen Provokateuren rechtfertigten, eine historische Parallele zum Judenstern als Symbol der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland herzustellen. Da gibt es nichts mehr zu erklären, zu verteidigen oder zu entschuldigen." Schlauch hatte Palmer auch beim Wahlkampf in Tübingen unterstützt.

Palmer entschuldigt sich für Äußerungen 

Auch andere Vertreter der Grünen gingen deutlich auf Abstand. Der Grünen-Stadtverband Tübingen verurteilte "die wiederholte Verwendung des N-Wortes und den inakzeptablen Vergleich mit dem Judenstern" durch Palmer. "Wir bedauern, dass erneut durch Aussagen von Boris Palmer viele Menschen verletzt wurden." Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, schrieb auf Twitter von einem "neuerlichen Tiefpunkt von Boris Palmer". Sie nannte seinen Austritt am Abend "folgerichtig".

Palmer selbst veröffentlichte am Montag eine persönliche Erklärung und kündigte eine Auszeit an. Er schrieb, er entschuldige sich bei den Menschen, "die ich enttäuscht habe", und betonte mit Blick auf seine Worte in Frankfurt, er hätte als Oberbürgermeister "niemals so reden dürfen". Dass der Eindruck entstanden sei, er würde den Holocaust relativieren, "tut mir unsagbar leid".

Auszeit und "professionelle Hilfe"

Weiter schrieb Palmer: "Eines ist mir klar: So geht es nicht weiter." "Die wiederkehrenden Stürme der Empörung kann ich meiner Familie, meinen Freunden und Unterstützern, den Mitarbeitern in der Stadtverwaltung, dem Gemeinderat und der Stadtgesellschaft insgesamt nicht mehr zumuten." Er wolle in seiner Auszeit "professionelle Hilfe" in Anspruch nehmen, um eine bessere Selbstkontrolle zu erlangen. "Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühle und spontan reagiere, wehre ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer macht."

Wie genau die Auszeit aussehen solle, erklärte Palmer nicht. Er schrieb: "Solange ich nicht sicher bin, neue Mechanismen der Selbstkontrolle zu beherrschen, die mich vor Wiederholungen sichern, werde ich alle Konfrontationen mit ersichtlichem Eskalationspotenzial durch Abstinenz vermeiden."

Wirbel um Palmer-Sager in der Vergangenheit 

Die Aufregung um seine Äußerungen in Frankfurt ist nicht die erste, die Palmer mit pointierten Aussagen ausgelöst hatte. Bereits im Mai 2021 hatte er in einem Facebook-Beitrag über den früheren Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, der einen nigerianischen Vater hat, das sogenannte N-Wort benutzt. Dies hatte massive Kritik auch bei seinen damaligen grünen Parteikollegen ausgelöst. Ein Parteiausschlussverfahren endete vor einem Jahr mit dem Kompromiss, dass Palmer seine Parteimitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lässt. Im Oktober 2022 war er in Tübingen als unabhängiger Kandidat angetreten und im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden. Er ist seit 2007 Oberbürgermeister der Universitätsstadt.

Auch mit pointierten Äußerungen zur Flüchtlingspolitik sorgte er immer wieder für Kontroversen und sah sich Rassismusvorwürfen ausgesetzt. Bundesweite Aufmerksamkeit und Anerkennung gab es aber auch sein Management während der Corona-Pandemie sowie seine kommunale Umweltpolitik.

Zurück zur Wahlparty auf dem Tübinger Marktplatz: Dass sich die Grünen nach der Wiederwahl auf einen lauten und unbequemen Boris Palmer einstellen müssen, machte der alte und neue Oberbürgermeister schon am Wahlabend im Oktober 2022 deutlich. Zu den Journalisten sagte er: "Warum sollte ein Oberbürgermeister, der zum dritten Mal mit Mehrheit gewählt wird, seinen Stil ändern?"

Quelle: dpa
 

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