Politik

Pistorius sieht Argumente für allgemeine Dienstpflicht – FDP dagegen

Teilen

Der neue Verteidigungsminister setzt ein umstrittenes Thema wieder auf die Tagesordnung: die allgemeine Dienstpflicht. FDP-Spitzenpolitiker haben Bedenken, besonders im Hinblick auf die jüngere Generation.  

Berlin. Verteidigungsminister Boris Pistorius sieht gute Argumente für eine allgemeine Dienstpflicht in Deutschland zur Stärkung von Katastrophenschutz, Bundeswehr und Rettungsdiensten. "Sie könnte vor Augen führen, wie wichtig diese Einrichtungen für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind", sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die FDP meldete umgehend rechtliche und politische Bedenken an - auch weil die jüngere Generation in der Corona-Pandemie übermäßig belastet gewesen sei.

Justizminister Marco Buschmann (FDP) sagte der dpa: "Gerade die junge Generation war in den letzten Jahren durch die Corona-Pandemie über die Maßen belastet." Er halte die Diskussion über die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht daher für "völlig verfehlt". Der Politiker fügte hinzu: "Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen an einer solchen Pflicht ernsthafte Zweifel." Es gebe zwar viele gute Gründe, sich in diesen Zeiten zu engagieren, bei den Rettungsdiensten, im Katastrophenschutz oder bei der Bundeswehr, räumte der Justizminister ein. Dies täten Millionen Menschen in Deutschland jedoch aus Überzeugung - und nicht aus Zwang. So sollte es seiner Ansicht nach auch bleiben.

Auch der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel hält eine allgemeine Dienstpflicht gegenüber der jüngeren Generation für falsch. Er begründete das mit "ihrem außerordentlichen Beitrag in der Corona-Pandemie". "Und es stünde uns zweitens bei der Modernisierung unserer Streitkräfte und der Profi-Bundeswehr, die wir brauchen, sogar im Weg." Eine Debatte über eine allgemeine Dienstpflicht sei verfassungsrechtlich noch weniger haltbar als die über eine Reaktivierung Wehrpflicht - und beides führt in die Irre", sagte Vogel am Mittwoch.

Die Wehrpflicht war 2011 nach 55 Jahren unter dem damaligen CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ausgesetzt worden, was in der Praxis einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleichkam. Der russische Angriff auf die Ukraine hatte zuletzt wiederholt eine Debatte um diese Frage ausgelöst.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, lehnte eine Wiedereinführung der Wehrpflicht nach altem Muster ab, ist aber für einen Pflichtdienst neuer Prägung offen. "Die Wehrpflicht, wie wir sie am Ende hatten, mit sechs Monaten Dienstzeit nur für Männer - das ist antiquiert", sagte Zorn der "Welt" (Mittwoch). Wenn politisch entschieden würde, dass es wieder einen Pflichtdienst geben soll, dann sollte dieser nicht nur für die Bundeswehr gelten, sondern für alle sozialen Dienste in der Zivilgesellschaft, so Zorn. "Ich könnte dabei jährlich 10 000 junge Menschen gewinnbringend in unser System integrieren."

Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen, sprach sich für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht aus. Alle Bemühungen in den letzten zehn Jahren hätten das Nachwuchsproblem der Bundeswehr nicht gelöst. "Pistorius' Forderung nach einer allgemeinen Dienstpflicht wäre nichts anderes als die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht durch die Hintertür". Aufgrund innerparteilicher Zwänge traue er sich aber nicht, Klartext zu sprechen.

Nach verbreitetem Verständnis wird unter dem Begriff einer allgemeinen Dienstpflicht verstanden, dass Bürger für eine gewisse Zeit einen Dienst für die Allgemeinheit leisten. Dabei könnte die Bundeswehr dann eine Option neben anderen Tätigkeiten etwa im sozialen Bereich sein. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte im Juni 2022 eine Debatte über die Einführung einer sozialen "Pflichtzeit" für junge Menschen angeregt - war für seinen Vorstoß aber vielfach kritisiert worden.

Auch Pistorius verwies im Zusammenhang mit der Dienstpflicht explizit auf die jüngere Generation. Die jungen Menschen müssten in der Frage gehört werden, sagte er der dpa. Als 62-Jähriger sei er zurückhaltend, "einer Generation, die sowieso schon eine schwierige Zukunft vor sich hat, jetzt mal eben so eine allgemeine Dienstpflicht aufzubürden", sagte Pistorius. "Was aus meiner Sicht dafür spräche? In den vergangenen Monaten ist der Eindruck entstanden, dass manche nicht die nötige Wertschätzung für Feuerwehr und Rotes Kreuz, Polizei und Bundeswehr aufbringen. Die allgemeine Dienstpflicht könnte helfen, die Menschen und die staatliche Organisationen wieder ein Stück näher zusammenzubringen", sagte er.

Pistorius äußerte sich überzeugt, dass Verteidigungsbereitschaft einerseits und Zivilschutz und Katastrophenhilfe andererseits zusammengedacht werden müssten. "Deutschland hat den Bereich Zivilschutz und Katastrophenhilfe zu lange nicht in ausreichendem Maß beachtet. Es fehlte lange an Geld für die Katastrophenhilfe, für Fahrzeuge und Ausrüstung. Alle hofften, dass man es nie braucht", sagte er. Ähnlich wie bei der Verteidigung gelte: "Die Kosten sind hoch, ohne dass man den langfristigen Nutzen unmittelbar wahrnimmt."

Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, begrüßte den erneuten Anstoß der Debatte durch den Verteidigungsminister. Denn von heute auf morgen könne man ein "Jahr für die Gesellschaft" nicht einführen, sagte sie dem SWR-Hauptstadtstudio. "Auch die Bundeswehr wäre davon überfordert: Da hätten wir von allem zu wenig: Ausbildungsmöglichkeiten, Material, Stuben in den Kasernen und Ausbilderinnen und Ausbilder." Da die Einführung einer Dienstpflicht ein langfristiges Projekt sei, müsse man jetzt schon anfangen, solche Pläne zu schmieden.

 

Quelle: dpa

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.