Niemand konnte es so richtig glauben - bis die Flammen über den Berg in Richtung Küste rasten. Tausende Touristen und Einheimische mussten fliehen, unzählige Tiere verbrannten. Menschen kamen nicht ums Leben, aber der Schaden ist immens. Und es brennt weiter.
Eine sandige kleine Bucht, türkis glitzerndes Wasser - und die verkohlten Überreste einer Strandbar samt verbogener, in der Hitze geschmolzener Strandliegen. Im Südosten von Rhodos haben die Flammen an vielen Stellen sämtliche Vegetation niedergewalzt, haben sich durch Buschwerk und Wälder gefressen und erst am Meer Halt gemacht. Übrig geblieben sind die schwarzen Gerippe der Bäume und eine dicke, dreckiggraue Schicht aus Asche, eine öde, triste Landschaft. Dazwischen: Große Hotels und weiß getünchte Bungalows. Die meisten stehen noch, manche sind verrußt, andere unberührt, wieder andere halb abgebrannt. Alle sind sie evakuiert, menschenleer. Nur Feuerwehr- und Polizeiautos sausen vorbei, immer wieder.
Die Touristen: Im Norden der Insel hingegen herrscht auf den ersten Blick Urlaubsbetrieb. Touristen heizen in offenen Beach-Buggies durch die Straßen, sitzen in Cafés und Tavernen. Der Flughafen funktioniert normal, lediglich auf einer Empore finden sich Feldbetten. Dort harren gemeinsam mit Dutzenden anderen die beiden deutschen Familien Sommer und Ehle aus Bremen und Magdeburg aus - bereits seit 35 Stunden, wie Mario Sommer am Montagvormittag sagt, und das mitsamt der vierjährigen Greta und dem siebenjährigen Lenny. So wie ihnen geht es vielen weiteren Tausend Menschen, die seit dem Wochenende in Turnhallen und Schulen untergebracht sind.
Das Feuer: Eigentlich wäre ihr Urlaub bis Mittwoch gegangen, nun haben sie immerhin einen Flug für Montagabend ergattert, um endlich nach Hause zu kommen, sagt Nico Ehle. Die beiden Ehepaare sind noch geschockt, aber auch gelassen. Die beiden Familien hatten sich in einem Hotel nahe der Ortschaft Kiotari kennengelernt. Die Erlebnisse von Samstag haben sie zusammengeschweißt. «Wir haben da gesessen und gesehen, wie die Flammen über den Berg auf uns zukamen. Wir wussten nicht, was wir machen sollten, es gab keine Informationen. Es hieß immer nur, wir sollten Ruhe bewahren und uns an die Anweisungen der Behörden halten. Aber die kamen ja nicht», berichten sie.
Die Flucht: Annamarie Sommer zeigt Fotos von der Feuerfront, vor der sie fliehen mussten. «Ich glaube, man unterschätzt diese Gefahr», sagt sie rückblickend. Irgendwann habe sie entschieden: «Es reicht, wir müssen hier weg.» Da schöpfte ein Hubschrauber bereits Löschwasser aus einem der drei Hotelpools. Eine Viertelstunde später habe der kleine Supermarkt direkt nebenan in Flammen gestanden.
Die Einheimischen: «Wir haben beschlossen, dass wir zusammenbleiben», sagt Nico Ehle. Es habe fürchterlich gestürmt, Wasser und Strom seien längst ausgefallen. «Dann haben uns Einheimische aufgesammelt in ihren Pick-ups», erzählt seine Frau Peggy. «Ich könnte jetzt noch heulen, die Menschen waren so hilfsbereit!» Sie hätten sich um die beiden kleinen Kinder gekümmert, hätten die Touristen mit Wasser und Essen versorgt und auch angeboten, sie aufzunehmen.
Der Wind: «Wenn Nacht gewesen wäre, wären wir umgekommen», ist Annamarie Sommer überzeugt. «Es war eine ganz knappe Kiste», stimmt ihr Mann zu. Wiederkommen würden sie trotzdem, sagt er. Dass der Wind so überraschend drehen und das Feuer nach Südost treiben würde, war irres Pech, sagen Inseleinwohner und Feuerwehrleute. Der Wind ist es auch, der am Montag erneut mehrere Feuerfronten auflodern lässt - wieder werden Dörfer evakuiert und Straßen gesperrt, die Sonne verschwindet hinter eitergelben Rauchwolken und taucht die Landschaft in unheilvolles Licht. Der beißende Rauch und die Aschepartikel kratzen im Hals und machen das Atmen schwer.
Das Gepäck: Christos Panagiotou lässt sich von den neuen Rauchwolken nicht irritieren. Mit seiner Assistentin Margarita steht er in der einst edlen, mit Marmor gefliesten Lobby eines großen Hotels nahe Kiotari. Hier glänzt nichts mehr, der Marmor ist von einer schleimigen Ascheschicht bedeckt. Überall stapeln sich Koffer, Margarita wedelt mit einer Liste, verabschiedet sich von einem italienischen Gast und streicht dessen Namen aus - der Mann hat sein Gepäck abgeholt, das er bei der Evakuierung zurücklassen musste.
Der Hotelmanager: Der 61-jährige Panagiotou ist heiser - seit Samstag ist er nonstop auf den Beinen und gefühlt ständig am Reden, sagt er. Immer wieder sprach er mit den Behörden, organisierte Busse für den Abtransport der Menschen, erklärte den Gästen die Lage, egal ob auf Italienisch, Englisch oder Deutsch. «Viele nehmen uns in den Arm und bedanken sich für die Unterstützung», erzählt er gerührt.
Das Hotel: Das Feuer sei von oben gekommen, sagt Panagiotou und ist immer noch erstaunt darüber. «Es hat quasi Feuer geregnet!» Das Hotel müsse saniert und manches abgerissen werden, Kabel seien geschmolzen, die Schäden noch längst nicht zu überblicken. «Wir machen es neu, wir sind eine starke Unternehmensgruppe. Wir werden auferstehen wie Phoenix aus der Asche», versichert der Manager entschlossen. Über tausend Gäste hat er in Sicherheit gebracht, darauf komme es an.
Die Feuerwehr: Während Panagiotou im Foyer die Stellung hält, rauschen draußen auf der Straße erneut Löschzüge, Polizeiautos und private, mit Wassercontainern beladene Pick-ups vorbei. Es brennt jetzt im nächsten Ort, in Gennadi. Unter den Feuerwehrleuten sind Kollegen aus anderen EU-Ländern. Das Nachbarland Türkei schickte zwei Löschflugzeuge, Ägypten drei Löschhubschrauber, auch ein kroatisches Flugzeug ist im Einsatz.
Die Helfer: Viele Inselbewohner kämpfen verzweifelt an der Seite der Feuerwehr - junge Männer mit provisorischen Masken, nackten Oberkörpern, in Tarnhosen und Arbeitsstiefeln. Bauern mit Traktoren, Bauarbeiter mit Baggern, mit denen sie Schneisen schlagen, um den Flammen das Futter zu nehmen. Viele von ihnen haben seit Tagen kaum geschlafen. «Mein Bruder hat am Anfang 40 Stunden durchgeschuftet, seine Füße sind voller Blasen», sagt Maria, die eine Strandbar betreibt. «Einer nach dem anderen brechen die Jungs jetzt zusammen, sie können nicht mehr.»
Die Tiere: Viele Einwohner schmerzt besonders, dass bei den Bränden unzählige Tiere umgekommen sind - Ziegen, Hunde, Katzen, aber auch etliche der auf Rhodos heimischen Damhirsche. «Ich habe die Kadaver am Straßenrand liegen sehen», sagt ein Busfahrer, der tagsüber am Flughafen arbeitet und nachts bei den Löscharbeiten hilft. «Ich habe lebende Rehe gesehen - ich konnte ihnen nicht in die Augen sehen, ich habe mich geschämt, es hat mir das Herz gebrochen.» An den verbrannten Straßenrändern sind nun immer wieder Haufen von Gemüse, Brot und Wassereimer zu sehen - für die überlebenden Tiere, die auf der verbrannten Erde nichts mehr zu Fressen finden.
Die Zukunft: Wie es weiter gehen soll und wie hoch der Schaden ist, darüber denkt bisher kaum jemand nach, denn noch sind die Brände nicht gelöscht. «Wir müssen da jetzt erstmal durch», sagen die meisten. Dann aber wollen sie Aufklärung: Über die Gerüchte, dass es Festnahmen wegen Brandstiftung gegeben habe, über die Tatsache, dass die Insel selbst nur über ein einziges Löschflugzeug verfügt, über viele Dinge, die zur Katastrophe geführt haben.