Der Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat eine Nachfolgedebatte ausgelöst. Mehrere Politiker sprachen sich für eine möglichst rasche Klärung der Personalie aus.
"Ich vertraue der SPD, dass sie da zu einer guten Entscheidung kommt", sagte die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sara Nanni, am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Auch mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine betonte sie: "Je früher wir da Klarheit haben, desto besser."
Schon am Freitagabend hatten mehrere Medien übereinstimmend berichtet, Lambrecht stehe vor einem Rückzug von ihrem Ministerposten. Fragen von Journalisten nach den Berichten über Lambrechts Rücktritt wurden von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Samstag bei der Eröffnung eines Flüssiggas-Terminals in Lubmin an der Ostsee geflissentlich überhört. Seit Montag ist es jedoch offiziell.
"Auch mit diesem Wabern und diesem Abwarten und diesem Zögern schadet man der Bundeswehr", kritisierte CDU-Chef Friedrich Merz am Samstag in Weimar. Aus seiner Sicht wäre gut, wenn das, was an Gerüchten durch die Medien gehe, mit einer Entscheidung des Bundeskanzlers abgeschlossen würde. Auch sollte die Bundeswehr wieder jemanden als Minister oder Ministerin erhalten, der dieser Aufgabe gewachsen sei, sagte der Oppositionsführer. Lambrecht sei "von Anfang an mit dieser Aufgabe überfordert gewesen".
Die Frage, ob bei einer Neubesetzung an der Spitze des Verteidigungsministeriums zwingend die Parität - jeweils die Hälfte der Kabinettsposten ist mit Männern, beziehungsweise Frauen besetzt - gewahrt bleiben müsse, beantwortete die Grünen-Verteidigungspolitikerin Nanni mit "Nein". Es sei etwas anderes, dieses Ziel bei der Regierungsbildung zu formulieren und dann auch zu verwirklichen als in der aktuellen Situation deshalb bestimmte Optionen von vornherein auszuschließen.
"Der Bundeskanzler sollte das für Deutschlands Sicherheit wichtige Verteidigungsministerium nicht unter paritätischen Gesichtspunkten nach Geschlechtern, sondern nur nach Kompetenz besetzen", sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki der "Bild am Sonntag". "Nach vier schwachen Ministerinnen und Ministern hat die Bundeswehr endlich jemanden verdient, der oder die etwas von der Sache versteht."
Zu den männlichen SPD-Politikern, die als mögliche Nachfolger gehandelt werden, gehören etwa Co-Parteichef Lars Klingbeil und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Ein Ressortwechsel von Heil würde zwar noch eine Veränderung im Kabinett nach sich ziehen. Dass es zu einer größeren Kabinettsumbildung kommt, bei der auch die bisherige Aufteilung der Ressorts unter den drei Ampel-Parteien angetastet wird, gilt aber als unwahrscheinlich.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, sagte der "Rheinischen Post", ein Rücktritt wäre konsequent, "weil Verteidigungsministerin Lambrecht nie im Amt angekommen ist, seit sie im Dezember 2021 Ministerin wurde". Der CDU-Politiker sieht hier auch den Kanzler in der Verantwortung. Er sagte: "Es war auch nie so, dass Bundeskanzler Scholz Lambrecht eine entscheidende Rolle zugebilligt hätte. Obwohl sie mit Beginn des russischen Angriffskrieges eines der wichtigsten Kabinettsmitglieder geworden ist."
Zugleich forderte Frei, auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die als Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl im Herbst gehandelt wird, müsse bald Klarheit über ihre Zukunft schaffen. "Auch Bundesinnenministerin Faeser kann sich offenbar nicht entscheiden, ob sie in Hessen Spitzenkandidatin der SPD werden will oder nicht", sagte er der Zeitung.
Aus Sicht der Partei Die Linke würde ein Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums keinen Fortschritt im Umgang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bringen. Die Bundesregierung habe keine überzeugende Strategie, sagte Parteichef Martin Schirdewan. "Der Wechsel von Personalien wird das Dilemma nicht lösen, sondern es geht darum, dass die Bundesregierung endlich die Weichen stellt, hin aus der militärischen Logik herauszukommen hin zu einer Friedenslogik und Diplomatie und Friedensverhandlungen zu befördern."
Schirdewan und Co-Parteichefin Janine Wissler sprachen sich noch einmal ausdrücklich gegen Panzerlieferungen an die Ukraine und für Friedensverhandlungen aus. Ein Eintreten für Diplomatie bedeute keine Parteinahme für den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zu Lambrecht sagte Wissler, die Verteidigungsministerin habe unglücklich agiert. Doch seien die Anschaffung bewaffneter Drohnen und atomwaffenfähiger Kampfjets aus Sicht der Linken problematischer als das viel kritisierte Silvester-Video der Ministerin, sagte Wissler.
Lambrecht hatte in dem an einer Berliner Kreuzung aufgenommenen Video vor der Geräuschkulisse des Silvester-Feuerwerks über den Krieg in der Ukraine gesprochen. Das war vor allem in sozialen Medien als unpassend kritisiert worden. Auch die Spekulationen über ihren Rücktritt waren unter Twitter-Nutzern in Deutschland am Samstag zeitweise das am meisten diskutierte Thema.
Quelle: dpa