Seit einem Monat verpasst der chinesische Außenminister einen wichtigen Termin nach dem anderen. Über sein Schicksal schweigt Peking. Einige Kritiker sind sich längst sicher, dass gegen ihn ermittelt wird.
Prominente Politiker wie Qin Gang werden eigentlich täglich fotografiert und gefilmt. Doch das letzte Foto des chinesischen Außenministers ist einen Monat alt. Es zeigt den 57-Jährigen am 25. Juni lächelnd an der Seite des russischen Vizeaußenministers Andrej Rudenko. Seitdem fehlt von Qin Gang jede Spur, obwohl er eigentlich wichtigen Verpflichtungen nachkommen müsste.
Ist der Minister krank? Hat er eine außereheliche Affäre? Oder wird gegen ihn wegen Korruption ermittelt? Der Fall sorgt nicht nur bei immer mehr Chinesen für Irritationen, auch Vertreter anderer Staaten fragen sich, wie sie auf das Verschwinden reagieren sollen.
Qin Gang, der unter Staats- und Parteichef Xi Jinping eine steile Karriere hingelegt hat und seit März Außenminister ist, soll die Großmacht China weltweit repräsentieren. Sind Genesungswünsche angebracht? Oder lieber abwarten, bis sich der Nebel gelichtet hat, fragen sich westliche Diplomaten.
Weiter angefeuert wurden die Spekulationen durch eine Ankündigung am Montagabend. Der Ständige Ausschuss des Volkskongresses sollte demnach kurzfristig an diesem Dienstag tagen. Einer der beiden Punkte auf der Tagesordnung sollte sich demnach mit Personalentscheidungen beschäftigen. Ob es dabei tatsächlich um Qin Gang gehen würde, war jedoch unklar.
Dass etwas nicht stimmte, bekam der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Anfang Juli als einer der ersten zu spüren. Nur wenige Tage vor einem geplanten Treffen mit Qin Gang in Peking sagten die Chinesen plötzlich ab. Auch an einem Gipfeltreffen der Außenminister der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean nahm er nicht teil. Stattdessen reiste Chinas Spitzendiplomat Wang Yi an, der in der Machthierarchie noch über dem Außenminister steht.
Wang Yi vertrat Qin Gang zuletzt bei einer ganzen Reihe von Terminen, so auch diese Woche bei einem Treffen der Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika in Johannesburg.
Auf die Frage, warum Qin Gang nicht am Asean-Treffen teilgenommen habe, antwortete ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums, dies sei aus «gesundheitlichen Gründen» nicht möglich gewesen.
Doch zugleich kursieren Spekulationen, Qin Gang sei wegen einer außerehelichen Affäre samt Baby aus dem Verkehr gezogen worden. Auf die unbewiesenen Gerüchte angesprochen, er habe eine Affäre mit einer Journalistin des Hongkonger Fernsehsenders Phoenix, sagte eine Sprecherin des Pekinger Außenministeriums lediglich, sie habe «keine Informationen» zu diesem Thema. Sie wiederholte jedoch nicht, dass Qin Gang krank sei. Man habe «keine Informationen», heißt es inzwischen routinemäßig im Außenministerium, wenn nach dem Chef gefragt wird.
Im Protokoll der täglichen Pressekonferenz, das jeden Abend auf der Website des Ministeriums veröffentlicht wird, sind die Fragen zu Qin Gang herausgestrichen. Diese Geheimniskrämerei stößt auch in China auf Kritik. Die Führung in Peking verfolge einen «Black-Box-Ansatz», sagt Wu Qiang, ehemaliger Politikprofessor an der renommierten Tsinghua-Universität. Für ihn ist es bereits eine Tatsache, dass gegen den Außenminister ermittelt wird.
«Jeder ist über etwas besorgt, kann es aber nicht öffentlich sagen», schrieb Hu Xijin, ein sonst eher für nationalistische Töne bekannter Kommentator im sozialen Netzwerk Weibo, nachdem Qin Gang nicht mehr öffentlich auftrat.
Der Fall des Außenministers erregt großes Interesse. Allerdings ist das Verschwinden von hohen Beamten, Prominenten und Geschäftsleuten in China nicht ungewöhnlich. Oft stellt sich später heraus, dass sie in Ermittlungen oder andere Kontroversen verwickelt waren.
Einer der bekanntesten Fälle der letzten Jahre ist der des ehemaligen chinesischen Interpol-Chefs Meng Hongwei, der 2018 während einer Reise in seine Heimat China verschwand. Zwei Jahre später verurteilte ihn ein chinesisches Gericht wegen der Annahme von Bestechungsgeldern zu einer langjährigen Haftstrafe.
Könnte Qin Gang ein ähnliches Schicksal drohen? «Ermittlungen gegen die Person Qin und/oder sein Netzwerk sind bei der Dauer seiner Abwesenheit wahrscheinlich», meint Nis Grünberg vom China-Institut Merics in Berlin. Aber auch gesundheitliche Probleme könnten hinter seinem Verschwinden stecken. Vor allem eine ernsthafte Erkrankung wie einen Herzinfarkt oder ähnliche Probleme würde Peking nicht sofort kommunizieren. Ob die Wahrheit jemals ans Licht komme, sei völlig unklar. Informationskontrolle habe für Peking oberste Priorität, meint Grünberg.