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Aggression gegen Einsatzkräfte: Konsequente Bestrafung gefordert

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Flaschen, die auf Rettungswagen prasseln. Männer, die Polizisten mit Böllern bewerfen. Nach den Angriffen auf Einsatzkräfte in Berlin, Essen und anderswo wird über Konsequenzen diskutiert. Die meisten Politiker und Praktiker denken: An laschen Gesetzen liegt es nicht.

Die brutalen Angriffe auf Feuerwehrleute und Polizisten in der Silvesternacht haben bundesweit für Fassungslosigkeit und Entsetzen gesorgt. Eine vor allem in Berlin geführte Debatte über ein mögliches Böllerverbot fand bundesweit wenig Widerhall. «Polizistinnen und Polizisten, Rettungssanitäter und Feuerwehrleute brutal zu attackieren, muss mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft werden», forderte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Diese «Verrohung» erfordere konsequentes Handeln.

»Rechtsstaat darf das nicht zulassen«

Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte: «Der Rechtsstaat darf nicht zulassen, dass Menschen, die in unseren Städten friedlich feiern, und Einsatzkräfte, die ihren Dienst tun, derartigen Übergriffen ausgesetzt sind.» Der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Karl-Heinz Banse, forderte Maßnahmen zur Prävention, um Plünderungsversuche an Feuerwehrfahrzeugen und Böllerwürfe auf Einsatzkräfte künftig zu verhindern. Er sagte: «Es muss geprüft werden, ob eine Abschreckung durch Technik wie Dashcams oder Bodycams möglich ist.» Mit solchen Kameras können Täter gefilmt und so leichter identifiziert werden.

FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle forderte, es müsse rasch Anklage erhoben werden. «Insbesondere bei jüngeren Tätern ist es wichtig, dass eine Bestrafung zügig erfolgt», sagte er. Bei einer klaren Beweislage komme auch das beschleunigte Verfahren nach der Strafprozessordnung in Betracht.

Überführung der Täter oft schwierig

Werden Flaschen, Steine oder Böller aus einer Menge heraus geworfen, ist die Identifizierung jedoch oft schwierig - zumal wenn nur wenige Einsatzkräfte vor Ort sind. «Die Strafverfolgung scheitert meist an der Überführung der Täter», sagt die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz. Wer die Gewaltexzesse beenden wolle, brauche einen langen Atem. «Gerade in Berlin wäre es wichtig, dass der rot-grün-rote Senat seinen Einsatzkräften demonstrativ den Rücken stärkt», meint die CSU-Politikerin. Stattdessen werde die Berliner Polizei mit Anweisungen zu politisch korrektem Sprachgebrauch und überzogenen Kennzeichnungspflichten unter Generalverdacht gestellt.

40.000 Fälle von Gewalt gegen Pollizeibeamte

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert ihre Mitglieder auf, jeden Angriff zu melden. «Jeder Übergriff auf uns Polizeibeschäftigte muss aktenkundig werden», sagt der GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke. Doch Studien zeigen, dass viele Polizisten und Polizistinnen das nicht tun - oft ist ihnen der Aufwand zu groß oder sie haben erlebt, dass Verfahren eingestellt werden. Die Statistik für 2021 listet knapp 40 000 Fälle von Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte auf - Tendenz steigend.

In der Silvesternacht gab es vor allem in Berlin, aber auch in Essen, Bochum, Duisburg, Leipzig und Frankfurt (Oder) Angriffe auf Polizeikräfte, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter. In der Bundeshauptstadt waren Polizei und Feuerwehr bei fast 4000 Einsätzen - dabei wurden sie mehrfach angegriffen, etwa mit Böllern, Schreckschusspistolen und Raketen. Die Feuerwehr dokumentierte bei mindestens 38 Einsätzen Angriffe und beklagte 15 Verletzte. Bei der Polizei waren es 18 Verletzte. Es gab über 100 Festnahmen.

Zunehmend auch Sanitäter und Feuerwehrleute betroffen

Angriffe mit Silvesterfeuerwerk gab es nach Angaben der Polizei auch in zahlreichen Städten Nordrhein-Westfalens. In Bonn hätten mehrere Jugendliche Müllcontainer angezündet und anschließend die Feuerwehr bei ihrem Einsatz mit Pyrotechnik und Steinen beworfen. In Hagen hätten vermummte Täter eine Straßenbarrikade gebaut und angezündet - auch dort seien die eintreffenden Rettungskräfte mit Feuerwerk beworfen worden. In Essen und Bochum wurden Polizisten selbst zur Zielscheibe, als sie verhindern wollten, dass sich Personengruppen gegenseitig mit Raketen beschießen. Insgesamt seien 250 mutmaßliche Täter in der Silvesternacht festgenommen worden, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) dem WDR.

Dass neben Polizeibeamten zunehmend auch Sanitäter und Feuerwehrleute attackiert werden, ist ein Phänomen, das schon seit einigen Jahren bekannt ist und 2017 in einer Gesetzesänderung mündete. Seither können Angriffe auf Polizisten, ermittelnde Staatsanwälte, Feldjäger und andere Sicherheitskräfte mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Zuvor hatte es eine besondere Strafandrohung zudem nur für Angriffe bei Vollstreckungshandlungen wie etwa Festnahmen gegeben, seit der Reform auch während jeder anderen Diensthandlung. Ebenso geschützt wurden durch die Änderung Kräfte der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes und der Rettungsdienste.

Sinkende Hemmschwelle und mangelndes Verständnis

Jetzt nach noch härteren Strafen zu rufen, greife zu kurz, sagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lamya Kaddor. Vielmehr müsse es jetzt darum gehen, im Austausch zwischen Politik und Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten zu verstehen, was Menschen auf Idee bringe, Rettungskräfte zu attackieren. Schließlich gehe es hier um «Menschen, die anderen Menschen helfen wollen» und auf deren Hilfe man schließlich auch selbst eines Tages angewiesen sein könnte. Auch Bundesinnenministerin Faeser betont, das strafrechtliche Instrumentarium sei ausreichend.

In einer Antwort des Bremer Senats auf eine parlamentarische Anfrage vom November heißt es, zu den Gründen für solche Übergriffe könnten nur Vermutungen angestellt werden.» Wie der Senat weiter ausführt, «sind nach Einschätzung der Einsatzkräfte Faktoren wie eine steigende Aggression in Kombination mit einer sinkenden Hemmschwelle, dem mangelnden Verständnis gegenüber der Arbeit oder einer irrtümlichen Anspruchshaltung gegenüber den Einsatzkräften bei der Einsatzbewältigung feststellbar».

Suche nach Streit mit »schwachen Polizisten«

Der Autor und Psychologe Ahmad Mansour analysiert die Situation so: «In Berlin gibt es Gruppen von Jugendlichen, die den Staat als sehr schwach wahrnehmen, weil sie selbst aus sehr patriarchalen Strukturen kommen.» Einige hätten in ihren Heimatländern einen Polizeistaat erlebt, nähmen die demokratische Polizei als schwach wahr und suchten «Streit und Kontakt mit diesen schwachen Polizisten».

Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) sprach sich im RBB-Inforadio für ein bundesweites Böllerverbot aus. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums verwies dagegen auf die Möglichkeit von Ländern und Kommunen, Böllerverbotszonen auszuweisen.

 

Quelle: dpa

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