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Letztes Kapitel? Harrys Stiche treffen das royale Herz

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Das Buch, vor dem ein Königreich gezittert hat, ist da. Die Vorwürfe von Prinz Harry dürften die königliche Familie schwer treffen. Doch auch der Autor geht nicht als Gewinner aus dem Streit hervor. Am Dienstagabend waren Harrys Memoiren bereits 400.000 mal verkauft.

Es ist eine Breitseite nicht nur gegen eine Familie, sondern gegen eine ganze Institution. Verrat und Intrigen lauern hinter den Mauern des Palasts, glaubt man den Schilderungen von Prinz Harry in seiner Autobiografie «Reserve». «Harry hat nicht nur den Vorhang der Royal Family aus Geheimnisvollem, Magie und Mystik zerrissen. Er hat ihn angezündet», sagte der Royals-Experte Peter Hunt dem Sender Channel 4. Nun, da Harry tiefe Blicke hinter die Fassade erlaubt, ist die Monarchie angreifbar wie lange nicht mehr. Von der schwersten Krise seit Jahrzehnten ist in London die Rede.

König Charles: Scharfe Kritik an Camilla war rote Linie

Zugespitzt erinnert «Reserve» an ein Drama von Shakespeare: Eine egomane Königsgemahlin, der amtierende Monarch emotional verkümmert, der künftige gefühlskalt - und an den Fäden ziehen Boulevardreporter, denen der nachgeborene Harry, der unter dem Unfalltod seiner Mutter Diana leidet, zum Fraß hingeworfen wird. Empathie hat hinter den Palastmauern keine Rolle zu spielen, wie aus den gut 500 Seiten deutlich wird. Für seine Schilderungen hat Harry jede Menge Platz erhalten, in mehreren Interviews brachte der 38-Jährige seine Sicht auf die königliche Familie vor. Der Palast hingegen gibt sich als Trutzburg, an der die Vorwürfe abprallen. Nach außen: kein Wort.

Wobei, so ganz stimmt das nicht, wie Experte Hunt betont. «Der Buckingham-Palast, so wird uns immer wieder gesagt, schweigt würdevoll», twitterte er. «Aber Insider, Quellen und Helfer waren fleißig.» Denn in vielen britischen Medien sind Einschätzungen zu lesen, wie Harrys Vorwürfe hinter den Mauern aufgenommen werden.

Die scharfe Kritik an seiner Frau Queen Camilla sei für König Charles III. eine rote Linie, will die «Sun» erfahren haben. Der «Daily Express» titelte, der «liebende Vater» wolle noch immer eine Brücke bauen zu seinem Sohn. «Innerlich brennt er», zitierte die «Sunday Times» einen Freund von William. Der Thronfolger sei «ängstlich und traurig», aber schweige - aus Pflichtbewusstsein für Land und Amt.

Versöhnung mitunter ausgeschlossen

Im «Mirror» wiederum erklären «royale Quellen» Harry zum «Verräter». Im «Independent» erzählt eine «Quelle, die der Royal Family nahe steht», dass eine Versöhnung ausgeschlossen sei: Charles und William fürchteten, dass Harry alle Gespräche öffentlich machen werde. «Es gab einen kompletten Vertrauensverlust.» Solche Zitate, ist Experte Hunt überzeugt, müssen von Charles und William freigegeben worden sein. Trifft das zu, würde eine von Harrys Hauptthesen bewiesen: dass Palast und Presse in einer symbiotischen Verbindung stehen. Beide Seiten ernähren sich gegenseitig.

Als Buch-Ereignis des Jahres war «Reserve» angekündigt. 20 Millionen Euro soll Harry vorab dafür erhalten haben. Davon habe er bisher rund 1,4 Millionen Euro an die von ihm mitgegründete Organisation Sentebale gestiftet, die an Aids erkrankte Kinder und Aidswaisen im südlichen Afrika unterstützt, heißt es vom Verlag.

Am Londoner Bahnhof Victoria öffnete ein Buchladen sogar eigens um Mitternacht wie zu den Hochzeiten der Harry-Potter-Euphorie. Allzu groß war der Andrang aber nicht, und auch am Morgen gab es nur wenige Interessenten, wie einige britische Medien geradezu genüsslich berichteten. Möglicherweise, hieß es, liege das daran, dass schon vor Veröffentlichung alle Skandale bekannt waren - das Buch war am vorigen Donnerstag versehentlich für kurze Zeit in Spanien zu kaufen gewesen. Zeit genug für die britischen Medien, sich einzudecken.

Beim britischen Bücherei-Marktführer Waterstones will man aber von Übersättigung nichts wissen. Die Nachfrage sei so groß wie nach keinem anderen Werk der vergangenen Jahre, berichtete die BBC.

Harrys Umfragewerte tief wie nie zuvor

Harry selbst, der sich in «Reserve» als teils naiver, teils rebellischer und stets unangepasster Royal darstellt, der unter den Konventionen leidet, ist beileibe kein strahlender Sieger in diesem Familienstreit. Seine Umfragewerte sind so tief wie nie zuvor, ergab eine Erhebung von Yougov. Das Buch sei «abwechselnd mitfühlend, frustrierend, seltsam überzeugend und absurd», urteilte die Zeitung «Guardian». «Harry ist kurzsichtig, während er im Zentrum seiner Wahrheit sitzt, gleichzeitig die Erzählweisen des Boulevards verabscheut und in sie verstrickt ist.»

Diesen Vorwurf erheben auch andere: Der Königssohn lasse seinem Hass auf die Klatschpresse und Paparazzi durchweg freien Lauf, heißt es. Gleichzeitig aber bediene er genau diesen scharf kritisierten Voyeurismus mit zahlreichen Anekdoten und intimen Geständnissen über Drogenmissbrauch, ersten Sex und handfeste Auseinandersetzungen mit William selbst. An vielen Stellen zeigt sich Harry verwirrt und widersprüchlich. Der Kritik an seinen Verwandten schiebt er hinterher, dass er doch alle Mitglieder der Familie liebe.

Einladung zur Krönung von Charles?

Das letzte Kapitel, so mutmaßt Royals-Expertin Katie Nicholl, könnte deshalb doch noch nicht geschrieben sein. Sie rechnet damit, dass Charles seinen Sohn trotz aller Vorwürfe zu seiner Krönung am 6. Mai einlädt - und dass Harry die Einladung annimmt.

Ein solcher Akt würde zum Drama um die Royals passen. «Die Monarchie ist Theater, die Monarchie ist Geschichtenerzählen, die Monarchie ist Illusion», betonte der «Guardian». Das Konzept beruhe darauf, dass Erwachsene sich auf die Vorstellung einließen, manche Menschen seien mehr wert als andere. Das habe einst auf einer angeblich direkten Linie der Könige zu Gott beruht. Heute stütze es sich auf die viel schwächere Macht der Gewohnheit. Zeremonien wie die Krönung von Charles seien deshalb nicht nur dekorativ, so die Zeitung. «Sie sind das Mittel der Institution, ihren Fortbestand zu sichern.»

400.000 verkaufte Memoiren innerhalb weniger Stunden

Nach Angaben seines Verlages sind Prinz Harrys Memoiren bereits 400 000 mal verkauft worden. Das teilte der Verlag Transworld Penguin Random House am Dienstagnachmittag mit. Die Autobiografie "Spare" (Deutsch: "Reserve") war am Morgen erschienen.

Zu den verkauften Exemplaren zählen neben den Hardcover-Ausgaben auch E-Books und Hörbücher. "Wir haben immer gewusst, dass dieses Buch fliegen würde, aber es übertrifft sogar unsere optimistischsten Erwartungen", sagte Larry Finlay, Geschäftsführer des Verlages, der Nachrichtenagentur PA zufolge. "Soweit wir wissen, sind die einzigen Bücher, die sich am ersten Tag mehr verkauft haben, die mit dem anderen Harry (Potter)."
 

 

Quelle: dpa

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